Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Kirtorf (Vogelsbergkreis)
Jüdische Geschichte / Synagoge 

Übersicht:

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer 
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen      
bulletZur Geschichte der Synagoge   
bulletFotos / Darstellungen  
bullet Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte    
bulletLinks und Literatur   

    

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english version)     
    
In Kirtorf bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938/42. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17./18. Jahrhunderts zurück. 1661 wird erstmals ein jüdischer Einwohner in der Stadt genannt, der freilich auf Grund einer landgräflichen Verordnung wieder "auf ein Dorf weichen" musste. 1696/1700 gab es drei jüdische Familien in der Stadt (Moses, Israel und Abraham). 
  
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts dürfte es zur Bildung einer Gemeinde gekommen sein: 1770 lebten sechs jüdische Familien in der Stadt.  

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: 1828 49 jüdische Einwohner, 1861 57 (5,2 % von insgesamt 1.102 Einwohnern), 1880 66 (6,7 % von 947), 1895 64, 1900 45 (5,3 % von 851), 1905 55 (6,3 % von 882), 1910 51 (5,7 % von 894). Die jüdischen Familien lebten vor allem vom Waren-, Vieh- und Pferdehandel. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten mehrere von ihnen Handlungen, Manufakturwaren- und Lebensmittelgeschäfte eröffnet. Fast alle Familien lebten in eigenen Häusern und betrieben teilweise etwas Landwirtschaft.     

An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine Schule, ein rituelles Bad und ein Friedhof. Die jüdische Schule wurde kurzzeitig (von 1840 bis 1842 als israelitische Elementarschule geführt, als die Gemeinde 20 schulpflichtige Kinder hatte. Als Elementarlehrer war in dieser Zeit Baruch Hecht eingestellt. Ab 1842 wurde die Schule von Lehrer M. Cahn in Ober-Gleen mitbetreut. In der Folgezeit wird auch in Kirtorf wieder ein eigener Lehrer angestellt gewesen sein, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. Um 1900 suchten beide Gemeinden - Kirtorf und Ober-Gleen wieder einen gemeinsamen Lehrer (siehe Ausschreibungen der Stelle unten von 1900/1904); möglicherweise war auch bereits zuvor ein Lehrer für beide Gemeinden zuständig). Als die Zahl der Gemeindeglieder an beiden Orten weiter zurückging, erteilte der Alsfelder Lehrer auch den jüdischen Kindern in Kirtorf (und Ober-Gleen) den Religionsunterricht.  Die Gemeinde gehörte zum orthodoxen Provinzialrabbinat in Gießen.  
  
Bereits im Krieg 1870/71 nahmen jüdische Gemeindeglieder teil. Auf der Gedenksäule zum Krieg 1870/71 werden zwei jüdische Namen unter der Überschrift: "Es waren im Felde" genannt: S. Sondheim und Seligmann Stern.  Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Karl Höchster (geb. 15.4.1888 in Kirtorf, gef. 10.1.1915) und Siegfried Lamm (geb. 1.10.1890 in Kirtorf, gef. 12.10.1915).  
 
Um 1924, als zur Gemeinde 45 Personen gehörten (5,5 % von insgesamt 813 Einwohnern), waren die Gemeindevorsteher Louis Kaufmann, David Kaufmann und Jakob Lamm. Den Religionsunterricht der damals zehn jüdischen Kinder der Gemeinde erteilte Lehrer Leopold Kahn aus Alsfeld. 1932 waren die Gemeindevorsteher Louis Kaufmann (1. Vors.), Siegmund Plaut (2. Vors.) und Albert Kaufmann (3. Vors.). Im Schuljahr 1931/32 erhielten noch vier jüdische Kinder Religionsunterricht. Der im Gemeindevorstand genannte Louis Kaufmann war zeitweilig im Gemeinderat der Stadt; er war auch Vorsitzender des hessischen Viehhändler-Verbandes.   
  
1933 wurden noch 35 jüdische Einwohner gezählt (4,2 % von insgesamt 839 Einwohnern. In den folgenden Jahren ist ein Teil der jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Zehn Personen sind nach Amerika emigriert, je eine Person nach Palästina und England. Neun Personen sind innerhalb von Deutschland verzogen, sieben sind in der Zeit von 1934 bis 1941 noch am Ort verstorben. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge geschändet und verwüstet (s.u.). 1939/40 lebten noch zehn jüdische Personen in der Stadt. Die letzten sieben wurden 1942 deportiert.   
    
Von den in Kirtorf geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Hirsch Herrmann (1872), Rosalie Herrmann geb. Sondheim (1875), Albert (Adalbert) Kaufmann (1881), David Kaufmann (1879), Gitta Kaufmann geb. Sommer (1889), Rebekka Lamm geb. Kaufmann (1876), Siegmund Plaut (1880), Therese Sommer geb. Münz (1861), Therese Sondheim (1880), Franziska Tausig geb. Sondheim (1877).
   
   
   
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde 
  
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer   
Ausschreibung der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1900 / 1901 / 1904 - gemeinsam mit Ober-Gleen      

Kirdorf Israelit 08021900.jpg (54770 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Februar 1900: "Die Religionslehrer-, Chasen- und Schochetstelle in den Gemeinden Kirtorf Ober-Gleen ist bis 1. April, eventuell auch früher zu besetzen. Gehalt 7-800 Mark und ziemliches Nebeneinkommen. Bewerber, ledig bevorzugt, wollen sich unter Angabe ihrer seitherigen Tätigkeit bei dem Vorstand der israelitischen Gemeinde Kirtorf, Oberhessen, melden."
  
Kirtorf Israelit 14081901.jpg (58555 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. August 1901: "Die Stelle als Religionslehrer, Vorbeter und Schochet für die Gemeinden Kirtorf - Ober-Gleen ist per 1. September dieses Jahres zu besetzen. Gehalt 700-750 Mark, freie Wohnung und Nebeneinkommen. Bewerber (ledig bevorzugt), wollen ihre Offerten nebst Zeugnisse und Photographie einsehen den den Vorstand der israelitischen Gemeinde Kirtorf, Oberhessen".  
    
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Dezember 1901: "Lehrer-Gesuch
Die beiden Gemeinden Ober-Gleen und Kirtorf suchen gemeinschaftlich einen Religionslehrer, der auch gleichzeitig die Schechita in Kirtorf auszuüben hat. Wohnsitz ist in Ober-Gleen zu nehmen. Bewerbungen sind zu richten an den Vorsteher der israelitischen Gemeinde Herrn Lazarus Lamm in Ober-Gleen (Hessen)."  
  
Kirtorf Israelit 07031904.jpg (58103 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. März 1904: "Die Gemeinden Ober-Gleen und Kirtorf suchen einen Religionslehrer und Vorbeter zum alsbaldigen Eintritt bei einem Gehalt von 800 Mark sowie Nebeneinkommen und freie Wohnung (Unverheiratet, seminaristisch gebildet). Bewerber wollen sich bei dem Vorstand der Israelitischen Gemeinde Ober-Gleen melden, unter Beifügung von Zeugnissen und Photographie."   
 
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. Mai 1904: 
Derselbe Text wie oben; die Besetzung der Stelle gestaltete sich wohl etwas schwierig, da sie über mehrere Wochen ausgeschrieben war. 
     

    
    
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen    
Anzeige des Manufaktur- und Kolonialwarengeschäftes Elias Hirsch (1899) beziehungsweise des Manufakturwaren- und Konfektionsgeschäftes Elias Hirsch Nachf. (1912)        

Anzeige in "Der Israelit" vom 1. Mai 1899: "Für mein Manufaktur- und Kolonialwarengeschäft suche einen jüngeren Kommis als Verkäufer und Detailreisenden, für kleinere eingeführte Touren. Offerten mit Gehaltsansprüchen, Photographie und Zeugnisabschriften erbeten. 
Elias Hirsch,  Kirtorf, Oberhessen."   
 
Anzeige im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 20. Dezember 1912: 
"Zum baldigen Eintritt suche 
Lehrling

Kost und Wohnung im Hause. Schabbos und Feiertage geschlossen. 
Elias Hirsch Nachf. 
Manufakturwaren und Konfektion, Kirtorf
(Oberhessen)."          

     
     
 
    
Zur Geschichte der Synagoge         
   
Schon 1696 war wohl eine Betstube eingerichtet. Da zwei der jüdischen Familien sehr nahe an der Kirche wohnten, kam es damals zu Beschwerden christlicher Einwohner. Diese beanstandeten, dass sie beim Kirchenbesuch durch "ein laut Getön" der jüdischen Beter gestört würden. Auch der Bau "ihrer Lauberhütten" würde sie belästigen. Nach vielem Hin und Her konnte die Familie des Abraham in seinem Haus wohnen bleiben; Israel sollte mit seiner Familie wegziehen. 
     
Von einer Synagoge (vermutlich ein Betraum in einem der jüdischen Häuser) unbekannten Alters erfährt man erst wieder Anfang des 19. Jahrhunderts. 1811 wurde für diese Synagoge ein neues Parochet (Toraschrein-Vorhang) gestiftet. 
  
Etwa 30 Jahre danach (1843) wurde in einem von der Gemeinde für 400 Gulden erworbenen Wohnhaus am Marktplatz eine Synagoge mit Schulraum für den Unterricht der Kinder und ein rituelles Bad eingerichtet. Nach einigen Jahren stellte sich jedoch der schlechte Bauzustand des Gebäudes heraus, sodass die Gemeinde das Gebäude 1852 für 320 Gulden wieder verkaufte.  
 
1852 wurde ein anderes Haus gekauft und dieses zur Synagoge mit Schulraum und Bad umgebaut. Dieses stand vermutlich in nächster Nähe oder auch am selben Platz wie das 1901 errichtete Synagogengebäude am Alsfelder Tor. Das Gebäude stand auf einem Grundstück von 67 qm.     
     
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die 1901 erbaute Synagoge geschändet. Die Ritualien und die Inneneinrichtung wurden zerstört und auf dem Marktplatz verbrannt. Im Oktober 1939 kam das Gebäude in den Besitz einer ortsansässigen Bauern. Nach 1945 gab es Überlegungen, im ehemaligen Synagogengebäude ein Café oder ein Gottesdienstraum der katholischen Kirchengemeinde einzurichten. 1951 wurde das Gebäude jedoch vom Besitzer abgebrochen, da es baufällig geworden sei. 
  
An Stelle der Synagoge wurde ein Mistplatz angelegt. Teile des Steinstockels, der Treppe und der Umfassungsmauern der ehemaligen Synagoge umfrieden den Mistplatz. In der gemauerten Böschung gegenüber wurde 1983 nach einer Mahnfeier ein kleiner Gedenkstein angebracht. Die Inschrift lautet: "Zur Erinnerung an die zerstörte Synagoge. Für Frieden und Freiheit. Kirtorf, 9.11.1983".    
    
Adresse/Standort der Synagoge  Am Alsfelder Tor 5          
  
  
Fotos
(Quelle: Plan, Rekonstruktionen und sw-Fotos: Altaras s.Lit.; 
Farbfotos: aus der Website www.juedisches-museum-vogelsberg.de mit Seite zu Kirtorf; weitere Fotos werden noch erstellt)         

Plan und Link 
zu den Google-Maps
Kirtorf Synagoge 220.jpg (36833 Byte) Link zu den Google-Maps 
(Standort der Synagoge)
   
  Skizze von Kirtorf im Bereich Alsfelder Tor,
 Neustädter Straße und Alsfelder Straße mit
 Eintragung der Standort Synagoge und Mikwe
  
       
Einziges Foto, auf dem die Synagoge
 erkennbar ist (von 1925)
Kirtorf Synagoge 221.jpg (72269 Byte)  
  Die Synagoge ist mit einem Pfeil markiert  
        
Kirtorf Synagoge 222.jpg (47504 Byte) Kirtorf Synagoge 223.jpg (21849 Byte) Kirtorf Synagoge 224.jpg (37542 Byte)
Nach 1945: ein Mistplatz innerhalb der
 restlichen Synagogenmauern 
(Foto August 1989)
Reste der 
Synagogenmauern 
Gedenkstein von 1983 gegenüber dem
 Standort (Inschrift siehe oben) 
      
     
Das rituelle Bad    
Kirtorf Mikwe 120.jpg (33499 Byte) Kirtorf Mikwe 122.jpg (41283 Byte) Kirtorf Mikwe 123.jpg (43027 Byte)
Links Grundriss des ehemaligen rituellen Bades (K = Kassel, P = Pumpe, O = Ofen, W = eventuell Wand, Z = Zulauf); Mitte 
Rekonstruktion der Nordostfassade; rechts senkrechter Schnitt (vgl. Eintragung des Schnitts in Grundriss links)
     
   Kirtorf Mikwe 125.jpg (28669 Byte)    
  Blick auf das Badehäuschen von Osten   
     

    
   
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte  

November 2009: Gedenken zum 71. Jahrestag des Novemberpogroms 1938  
Artikel im "Gießener Anzeiger" vom 11. November 2009 (Artikel): "Gedenken als Mahnung und als Bitte für Frieden auf der Welt. 
KIRTORF - Reichspogromnacht: Religiöse Welt der Kirtorfer Juden auf dem Marktplatz verbrannt. 
(
ia). Damit Gewalt und Hass gegen die jüdische Bevölkerung nicht in Vergessenheit geraten, luden die evangelische Kirchengemeinde Kirtorf und das Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus Kirtorf auch am 71. Jahrestag der so genannten Reichspogromnacht zu einer feierlichen Gedenkstunde am Platz der früheren Kirtorfer Synagoge am Alsfelder Tor ein..."    
 
November 2017: Auf den Spuren der Vorfahren in Kirtorf  
Artikel von Joachim Legatis in der "Alsfelder Allgemeinen" vom 5. November 2017: "Besuch aus den USA - Gebet für den Urgroßvater
Vater Hans flüchtete 1937 aus Kirtorf in die USA und befragte später als US-Soldat deutsche Kriegsgefangene. Nun erlebte sein Sohn Ron Kaufman einen bewegenden Aufenthalt am Gleenbach.

Seit den 1930er Jahren hat sich in Kirtorf viel verändert. Das merkte Ron Kaufman schnell, als er mit Helmut Meß die Heimat der Vorfahren erkundete. Zusammen mit seiner Frau Alene war der 67-Jährige kürzlich das erste Mal in Deutschland. Im Anschluss an eine Rundfahrt auf den Spuren der jüdischen Vorfahren besuchte das Paar auch Kirtorf, aus dem der Vater Rons stammte. Hans Kaufmann war 1937 als 17-Jähriger in die USA gekommen, 'sein Onkel hat für ihn gebürgt, das war damals die einzige Möglichkeit, in die Staaten zu kommen,' erläutert Ron. Hans änderte seinen Namen in Harry Kaufman ab, weil er befürchtete, als US-Soldat bei einer möglichen Gefangenschaft als deutscher Jude erkannt zu werden.
Gemälde zurückgegeben. Das alte Wohnhaus der Familie steht nicht mehr, auf dem Grundstück an der Marburger Straße begann dennoch mit Helmut Meß vom Heimatverein Stadt Kirtorf die Spurensuche. Auf dem Areal steht heute der Laden der Gärtnerei Strack. Gundula Strack hatte noch eine alte Weihnachtskarte von Harry und Anne Kaufman an ihren Vater. Sie erinnerte sich daran, dass die Steine vom alten Haus auf dem Grundstück vergraben wurden. Beim Verlegen einer Telefonleitung entdeckten die Bauarbeiter den alten Türsturz mit einer Rille und einer Münze darin. Vielleicht sollte das Glück bringen, vermuteten Ron Kaufman und Gundula Strack. Auf dem Friedhof betete das Paar am Grab von Feist Sommer, Rons Urgroßvater, der von Crainfeld nach Kirtorf gezogen war. Meß hat noch zwei weitere Grabstätten von Angehörigen Ron Kaufmans ermittelt, auf denen die Besucher ebenfalls ein Steinchen zum Gedenken platzierten. Weitere Stationen waren das Museum Stadt Kirtorf, das alte Schulgebäude und die frühere Mikwe (jüdisches Tauchbad). Ein Besuch der ehemaligen Synagoge Ober-Gleen rundete die Rundfahrt durch den Heimatort der Vorfahren ab. Im Rathaus trafen die Kaufmans mit Bürgermeister Ulrich Künz zusammen. Übersetzt von Veronika Bloemers versicherte Künz den Besuchern, welchen Stellenwert der jüdischen Geschichte in Kirtorf beigemessen wird. So habe man schon vor Jahren in Büchern über dieses Kapitel der Gemeindegeschichte informiert. Viel Recherche habe Albert Naumann geleistet. Mit großem Aufwand wurde die leerstehende alte Synagoge Ober-Gleen restauriert. Zufällig gesellte sich zu dem Gespräch im Rathaus Ursula Lang hinzu, die sich mit Freude an den guten Kontakt ihrer Mutter mit Hans Kaufmann erinnerte. Im Museum gab Meß einen Überblick über die Ortsgeschichte.
Stolpersteine werden verlegt. Ron erinnerte an viele Schilderungen seines Vaters zu Kirtorf. Als Harry Kaufman in den 1980er Jahren zu Besuch war, sprach ihn eine Ortsbewohnerin an, die ihn gleich wieder erkannte. Sie überreichte ihm ein Gemälde, das die Kaufmanns 50 Jahre zuvor den Nachbarn anvertraut haben. Es war bewegend, nach fünf Jahrzehnten das Erinnerungsstück wieder zu bekommen, sagt Ron Kaufman. Mit großem Interesse hörten Alene und Ron Kaufman von Helmut Meß, dass im nächsten Jahr Stolpersteine in Kirtorf verlegt werden sollen. Das ist eine Aktion des Künstler Gunter Demnig aus Köln, der Betonwürfel mit Messingschild in Gehwege setzt. Sie erinnern namentlich an die Bewohner des betreffenden Hauses, die im Dritten Reich in den Tod verschleppt wurden. Drei Angehörige Ron Kaufmans stehen auf der Liste des Heimatvereins. Den ersten Besuch in Deutschland fanden Alene und Ron Kaufman ausgesprochen anregend und spannend. 'Besonders das deutsche Bier' lobte der ehemalige Mitarbeiter der US-Küstenwache."  
Link zum Artikel   
 
März 2018: Verlegung von "Stolpersteinen" in Kirtorf  
Artikel von Rolf Schwickert in der "Alsfelder Allgemeinen" vom 3. März 2018: "Stolpersteine mahnen..."
Zum Lesen des Artikels bitte Textabbildung anklicken.    
 
November 2018: Zur Erinnerung an den Novemberpogrom 1938 in Kirtorf und Ober-Gleen  
Artikel von Joachim Legatis in der "Alsfelder Allgemeinen" vom 15. November 2018: "Für demokratischen Zusammenhalt
Vor 80 Jahren brannte das Mobiliar der Synagoge Kirtorf auf dem Marktplatz und SA-Männer verwüsteten Häuser von jüdischen Ober-Gleenern. Daran erinnerte eine Veranstaltung des Aktionsbündnisses für Vielfalt im Kulturhaus Alte Synagoge Ober-Gleen mit Berichten, Geräuschen und Liedern. Hinweise auf die Rückkehr einer 'völkischen' Sprache, die eine Ausgrenzung von Minderheiten möglich macht und das emotionale Lied 'Donna, Donna' bewegten die Besucher. Cynthia Lotz und Katja de Tullio-Depoi stellten die Alte Synagoge vor, die seit einem Jahr als Kulturhaus genutzt wird. Erbaut wurde sie 1874 mit einem angebauten Gemeindehaus. Damals lebten 58 Juden in Ober-Gleen, rund acht Prozent der Dorfbevölkerung. 1930 waren es noch 25 Personen. In Kirtorf wurde 1843 in einem Wohnhaus am Marktplatz eine Synagoge mit Schulraum und rituellem Bad eingerichtet. 1901 baute man ein Synagogengebäude am Alsfelder Tor. Die jüdische Gemeinde verfügte außerdem über Schule, rituelles Tauchbad und Friedhof. 1880 lebten 66 Juden in Kirtorf, 1930 noch 40 Menschen. Meist lebten die Menschen in den Dörfern friedlich miteinander, Juden kämpften als Soldaten im Ersten Weltkrieg mit, wie de Tullio-Depoi anfügte. 1933 begann das 3. Reich, in dem bald Menschen in 'höherwertige' und 'minderwertige' differenziert wurden, wie Jenny Wahl sagte. Als 'volksschädigend' sahen die Nazis Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, Sozialhilfeempfänger und Alkoholkranke an. Als minderwertig wurden Sinti, Juden und Schwarze angesehen. Valdivielso meinte, diese Einteilung wurde 'völkisch' genannt, ein Begriff, den heute Vertreter der AfD und der NPD propagierten. Mit dem Gedicht 'Reichspogromnacht' erinnerte man an eine Nacht der Grausamkeit und des Schreckens, in der viele Menschen litten. Um den 9. November 1938 wurden 400 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben. Über 1400 Synagogen, Betstuben und Versammlungsräume sowie Tausende Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört.
Bogen zur Jetztzeit. Aus der Synagoge Ober-Gleen haben SA-Leute die Inneneinrichtung und Schriften zerstört. Auch an Häusern der jüdischen Familien vergriffen sich SA-Männer. In Kirtorf wurde die Synagoge demoliert, Ritualgegenstände und Einrichtung auf dem Marktplatz verbrannt. 'Die jüdischen Kirtorfer haben sehr gelitten', bedauerte ein Zeitzeuge. An 27 Opfer der Judenverfolgung erinnerten Abgeordnete des Kreisjugendparlaments. Sie verlasen die Namen der Getöteten und legten für jeden einen Erinnerungsstein auf das Fenstersims. Ein siebenarmiger Leuchter, die Menorah, wurde entzündet. Christiane Finking verlas das Gedicht 'Wir sind ja trotz allem Menschen', das die Ausgrenzung der Juden einst thematisiert. Der Frauenchor der evangelischen Kirchengemeinde sang das Lied 'Donna, Donna', begleitet von Veronika Bloemers auf dem Klavier. Den Bogen zur Jetztzeit schlug man mit einem Ausschnitt aus einem Rechtsrock-Konzert 2004 im Schweinestall in Kirtorf. Ein Lied forderte zum Ermorden von Juden auf. Valdivielso erinnerte an verharmlosende Worte von AfD-Spitzenleuten zur deutschen Geschichte. Helmut Gläser mahnte, alle müssten für die Untaten von einst 'die historische Verantwortung' übernehmen. Begrüßt wurde die Resolution von Vereinsvertretern und Stadtverordneten aus 2004 in Kirtorf, die sich eindeutig gegen rechte Hetze und Gewaltaufrufe richtet. Andreas Fey stellte sie noch einmal vor. Der kleine Chor um Veronika Bloemers sang zwei Lieder und alle stimmten 'Shalom Chaverim' an. Mit dem Wunsch, sich für den demokratischen Zusammenhalt der Gesellschaft einzusetzen, schloss die Veranstaltung."
Link zum Artikel  
 
November 2019: Gedenken zum 81. Jahrestag des Novemberpogroms 1938  
Artikel im "Gießener Anzeige" / "Wetterauer Zeitung" vom 1. November 2019: "Gedenken an Pogromnacht
Kirtorf
(pm). Am 9. November jährt sich die Reichspogromnacht. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 mehrten sich die Übergriffe der Nationalsozialisten gegen Juden und jüdische Einrichtungen, auch in Kirtorf und Ober-Gleen. Zudem gebe es aktuelle Ereignisse, die aufschrecken. 'Vor wenigen Wochen wurden in Halle zwei Menschen von einem rechtsradikalen Terroristen ermordet. Dasn ist nicht die Handlung eines Einzeltäters, sondern eines Menschen, der sich getragen fühlt vom sich ausbreitendem gewaltbereiten Gedankengut'. Das Aktionsbündnis für Vielfalt Kirtorf lädt am Freitag, den 9. November, ab 17 Uhr zu einer Gedenkveranstaltung ein. Bürger haben die Möglichkeit, mit Konfirmanden und Vertretern des Vogelsberger Jugendparlaments an den Stolpersteinen vor den entsprechenden Häusern der Reichspogromnacht zu gedenken.
Treffpunkt ist vor dem Rathaus. Ab 19 Uhr findet eine Gedenkveranstaltung mit Beiträgen am Gedenkstein gegenüber dem Rathaus statt. Zwischen den Veranstaltungen gibt es die Möglichkeit, sich im Rathaussitzungssaal zum Thema Reichspogromnacht in Kirtorf zu informieren. Für warme Getränke ist durch die Veranstalter gesorgt." 
Link zum Artikel   

  
    
Links und Literatur  

Links:  

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Website der Stadt Kirtorf  

Literatur:  

bulletPaul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 447-449.  
bulletKein Artikel zu Kirtorf bei Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? 1988. 
bulletArtikel zu Kirtorf in dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 99-101 sowie in Neubearbeitung der beiden Bände 2007² S. 258-260.
bulletAnnette Weber-Möckl: Die Judengemeinde in Kirtorf und Oberkleen. In: Magistrat der Stadt Kirtorf (Hrsg.): Kirtorf und das Eußergericht. 1989. 
bulletStudienkreis Deutscher Widerstand (Hg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel. 1995 S. 196-197.  
bulletPinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume III: Hesse -  Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992 (hebräisch) S. 292-293.
bulletKatharina Jakob (Verein Landjudentum Vogelsberg): Juden in Kirtorf. 2011. Eingestellt als pdf-Datei.    

    
    


 

Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust". 
First published in 2001 by NEW YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad Vashem Jerusalem, Israel.

Kirtorf  Hesse. Numbering 66 (7 % of the total) in 1880, the Jews were mainly livestock traders. From 1933 the Nazi boykott hastened their departure. Over one-third (12) emigrated and the last seven were deported in 1942.  
  
    

                   
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Copyright © 2003 Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Stand: 30. Juni 2020